Noch im August werden die Stadtwerke aller Voraussicht nach die 1000. Photovoltaikanlage am Netz haben. Die Entwicklung, dass die Kunden selbst Strom aus dem Sonnenlicht produzieren, hat auch in Suhl und Zella-Mehlis an Fahrt aufgenommen. Bei der Stadtwerke Suhl/Zella-Mehlis Netz GmbH sind heute bereits über 980 Photovoltaikanlagen registriert. Einen rasanten Zuwachs gab es insbesondere im vergangenen und in diesem Jahr. Dazu kam „Freies Wort“ mit Ralf Belgardt, Geschäftsführer der SWSZ Netz GmbH, mit Paul Meusel, verantwortlich unter anderem für Solaranlagen, und Michael Brand, Abteilungsleiter Netznutzung, ins Gespräch.
Herr Belgardt, Photovoltaikanlagen sind ja nicht erst seit der Energiekrise ein Thema. Was aber hat aus Ihrer Sicht diesen enormen Zuwachs in den vergangenen zwei Jahren beflügelt?
Ralf Belgardt: Die Gründe dafür liegen vor allem mit den Turbulenzen auf dem Energiemarkt auf der Hand. Mit einer eigenen PV-Anlage auf dem Dach oder auch am Balkon kann man seine Stromkosten senken, sich teilweise unabhängig von steigenden Preisen machen und möglicherweise gibt es auch eine Einspeisevergütung für den Strom, den man selbst nicht verbraucht. Zudem ist die Mehrwertsteuer für die Anschaffung solcher Anlagen zu Beginn dieses Jahres weggefallen. Auch das beflügelt. Der Faktor des Umweltschutzes ist sicher auch nicht unerheblich. Denn jede selbst produzierte Kilowattstunde Solarstrom reduziert den Ressourcenverbrauch an Kohle, Öl oder Gas und spart somit CO2 ein.
Wie macht sich die steigende Produktion von Solarstrom im Netz der Stadtwerke bemerkbar?
Ralf Belgardt: Mit den jetzt schon installierten Photovoltaikanlagen im Netz der SWSZ Netz GmbH liegt eine Leistung von mehr als 14 800 Kilowatt-Peak (kWp) – das ist die maximale Leistung, welche die Solarstromanlagen derzeit erbringen können – an. Das entspricht etwa der installierten elektrischen Leistung des Heizkraftwerkes der Restabfallbehandlungsanlage. Jedenfalls theoretisch. Praktisch allerdings müssten dazu die PV-Anlagen ständig optimale Bedingungen vorfinden – also ausreichend Sonne, die im richtigen Winkel auf die Module trifft, Temperaturen, die passen und so weiter, um auch wirklich Strom zu produzieren.
Das ist aber längst nicht immer der Fall. Wie hoch ist der tatsächliche Anteil von Strom, der über Photovoltaikanlagen im Versorgungsgebiet der SWSZ Netz GmbH Stadtwerke der produziert wird?
Michael Brand: Der liegt mittlerweile bei etwa zehn Millionen Kilowattstunden und damit bei rund fünf Prozent der Netzeinspeisung.
Wann gab es den größten Zuwachs?
Michael Brand: Im vergangenem Jahr 2022 war der Zubau – im Vergleich zu den Vorjahren – mit 139 PV-Anlagen schon sehr hoch. Aktuell sind wir in diesem Jahr schon bei über 250 neuen Anlagen, sodass wir zum Jahresende einen deutlich größeren Zuwachs erwarten.
Nun gibt es ja ganz verschiedene PV-Anlagen – vom Balkonkraftwerk bis zur Anlage mit über 100 Kilowatt Peak. Welche werden von den Haushalten und Firmen am meisten genutzt?
Paul Meusel: Das sind die Anlagen mit einer Leistung von einem bis 25 Kilowatt Peak, die vor allem auf Dächer von Privathäusern installiert werden. Davon haben wir zurzeit 708 Stück registriert mit einer Gesamtleistung von knapp 5400 kWp. Auch hier ist eine deutliche Entwicklung spürbar.
Und wie viele noch größere Anlagen gibt es in Suhl und Zella-Mehlis?
Paul Meusel: Da wären jene PV-Anlagen mit einer Leistung von 25 bis 100 kWp, die vor allem im Gewerbe genutzt werden. Davon haben wir zurzeit 72 Stück. Und 23 Anlagen haben in unserem Gebiet über 100 kWp. Die sind seit 2009 im Kommen und werden auch vom Gewerbe genutzt. Dazu zählt beispielsweise die Solaranlage auf der einstigen Deponie in Goldlauter-Heidersbach, die von der SBB Suhler Betriebs- und Beteiligungsgesellschaft mbH betrieben wird.
Bleiben noch die Balkonkraftwerke. Erfreuen die sich auch zunehmender Beliebtheit?
Michael Brand: Durchaus. Auch weil sie leicht zu installieren sind und Stromeinsparungen spürbar machen. Hier verzeichnen wir den größten Zuwachs. Waren es 2019 noch neun Anlagen, bestanden im Jahr 2022 schon 79. Und jetzt haben wir von diesen Anlagen bereits 178 registriert.
Ralf Belgardt: Aber die Dunkelziffer dürfte um einiges höher liegen. Wir gehen davon aus, dass längst nicht jeder Betreiber eines solchen Kraftwerks sich auch registriert hat.
Muss ich das denn bei einer solch kleinen Anlage? Deren Stromausbeute, die vielleicht nicht vom Betreiber selbst verbraucht und ins Netz eingespeist wird, dürfte doch kaum ins Gewicht fallen
Ralf Belgardt: Bis jetzt gibt die Gesetzeslage nichts anderes her. Jeder Betreiber muss seine PV-Anlage bei uns, also beim Netzbetreiber und im Marktstammdatenregister anmelden. Da aber zurzeit vieles in Veränderung ist, kann das aber auch bald anders sein. In der Regel muss dann auch der Zähler ausgetauscht werden, wenn noch so ein schwarzer Kasten mit Scheibe (Ferraris-Zähler), die sich bei der Einspeisung ins Netz rückwärts dreht, vorhanden ist. Bei großen Anlagen regelt das im Normalfall der Installateur. Bei Balkonkraftwerken muss der Betreiber selbst tätig werden. Natürlich sind die Energiemengen aus diesen Anlagen für uns nicht wirklich relevant. Aber der Netzbetreiber muss schon wissen, was in welchen Mengen eingespeist werden kann und auch wird. Schließlich müssen wir die Netzlastverhältnisse beziehungsweise die Einspeiseleistung immer im Auge behalten haben und möglicherweise auch reagieren.
Heißt das, dass Sie bei einer zu großen Netzeinspeisung auch PV-Anlagen, von denen Strom eingespeist wird, zeitweise vom Netz nehmen?
Ralf Belgardt: Rein theoretisch ja. Aber bislang mussten wir noch nicht eingreifen. Größere Anlagen statten wir zukünftig mit einem intelligenten Messsystem aus, über das wir reagieren können, sollte das erforderlich sein. Anlagen über 100 kWp sind deshalb über Fernwirkanlagen mit der Netzleitstelle verbunden, sodass wir von dort aus diese Anlagen steuern können.
Wer solche großen Anlagen betreibt, tut das doch sicher mit der Absicht, nicht nur sich selbst mit Strom zu versorgen, sondern auch über die Einspeisung ins Netz eine Vergütung zu erhalten.
Ralf Belgardt: Das ist so. Sollte ein großer Solarstrom-Produzent abgeregelt werden, weil er gerade mehr Energie liefert, als unser Netz aufnehmen kann, müssen wir unter Umständen auch eine Ausgleichszahlung veranlassen. Das Beste ist für die Betreiber aller PV-Anlagen, den selbst produzierten Strom auch selbst zu verbrauchen. Dafür ist natürlich die Anschaffung eines Speichers sehr hilfreich.
Noch mal zurück zu den Balkonkraftwerken. Die Energiemengen, die hier nicht selbst verbraucht werden, dürften sehr gering sein. Gibt es dennoch eine Vergütung?
Paul Meusel: Tatsächlich handelt es sich hier um sehr geringe Strommengen. Mit der Anmeldung der Anlage bei uns unterschreibt der Betreiber deshalb in aller Regel, dass er auf eine Einspeisevergütung verzichtet. Der ganze Aufwand, der mit der Berechnung für die Vergütung sowie den bürokratischen und technische Pflichten zusammenhängt, wäre einfach zu hoch. Eine Einspeisevergütung lohnt sich nur für größere Photovoltaikanlagen. Balkonkraftwerke profitieren weiterhin am meisten vom Eigenverbrauch des erzeugten Stroms.
Apropos Aufwand. Als Netzbetreiber kommt mit der wachsenden Zahl doch auch eine ganze Menge mehr Arbeit auf Sie zu. Das ist doch Arbeit, mit der Sie als Unternehmen letztendlich kein Geld verdienen. Wie wird das geregelt?
Ralf Belgardt: Ja, wir müssen das Netz trotz zunehmender Einspeisung rund um die Uhr vor- und in Ordnung halten. Finanziert wird das über die Netzentgelte, die jeder mit seiner Stromrechnung zahlt. Damit ist aber nicht der steigende Aufwand abgegolten, der mit dem Aufwuchs an PV-Anlagen zu bewältigen ist. Es muss bilanziert und abgerechnet werden, Vergütungen müssen gezahlt werden. Und dann die Änderungen der Tarife und vor allem der Gesetzlichkeiten. Wir haben jetzt schon allein dafür mindestens eine halbe Stelle gebunden, auf der die Anmeldungen geprüft, eingepflegt und mit dem Marktstammdatenregister abgeglichen werden. Und die Kunden haben freilich auch Fragen und wollen beraten werden.
Also will die Politik zwar eine Energiewende auch über immer mehr PV-Anlagen, aber sie vergütet den steigenden Aufwand beim Netzbetreiber nicht?
Ralf Belgardt: In dieser Sache ist noch nicht alles klar geregelt. Durch die Umsetzung der Energiewende wird der Aufwand für die Netzbetreiber in vielen Bereichen ständig größer, aber die Gegenfinanzierung ist nicht immer gesichert.
Nun ist davon auszugehen, dass es künftig noch mehr Photovoltaikanlagen im Netzgebiet der SWSZ Netz GmbH gibt. Wie bereiten Sie sich darauf vor, künftig auch mit einer höheren dezentralen Netzeinspeisung gut umgehen zu können?
Ralf Belgardt: Nicht zu vergessen, auch die E-Mobilität nimmt Fahrt auf. Wir brauchen also ein starkes Netz und eine strategische Netzplanung. In dieser Frage sind wir hier ganz gut aufgestellt, auch dank unseres kompakten Netzes und der Investitionen der letzten Jahre. Es wird künftig darum gehen müssen, das Netz immer besser zu vermaschen, um gute Umschaltmöglichkeiten zu haben. Dazu kommt, dass Investitionen in Übergabepunkte, Transformatoren und Leitungen nötig werden. Und wir brauchen intelligentere Ortsnetzstationen, also mehr Digitalisierung.
Um Ihren Gedanken von der zunehmenden E-Mobilität aufzunehmen – was passiert, wenn es immer mehr Wallboxen in den Haushalten gibt?
Ralf Belgardt: Dafür müssen wir uns wappnen – mit intelligenten Messsystemen, die künftig jede Wallbox haben muss, damit wir im Falle eines Falles eingreifen und sie runterregeln können.
Wie können Sie das Netz insgesamt stärker machen? Mit dickeren Leitungen?
Ralf Belgardt: Vor allem mit Investitionen, die ich schon genannt habe. Und mit einer guten Vorausschau. So legen wir schon jetzt bei Baumaßnahmen oft ein paar mehr Kabel in die Erde, als zurzeit unbedingt gebraucht werden. Das kann sich nämlich schnell ändern. Darüber hinaus ist zu ergänzen, dass die volatile Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien es zukünftig erfordert, dass Netze, Erzeugung und Verbrauch effizient und intelligent miteinander zu verknüpfen. Informationstechnologien werden bei der Verknüpfung der Komponenten der Energiesysteme eine zentrale Rolle spielen und sollen in Zukunft eine Überwachung und Optimierung der miteinander verbundenen Bestandteile ermöglichen. Neben den gezielten Netzverstärkungen müssen wir unser Stromnetz schrittweise zu einem „Intelligenten Netz“ (Smart Grid) umbauen.
Quelle: Freies Wort